Unser Enkel springt lachend auf dem Bett. Wir stehen da und schauen zu – und es trifft uns wie ein Blitz. Ein Bild, das wir so gut kennen: dieselbe Stelle, das gleiche Lachen, dieselbe kindliche Freude. Nur war es damals Marvin, unser ältester Sohn, der dort herumhüpfte. Damals – vor fast 30 Jahren. Wir sehen uns an. Und in einem dieser stillen Momente, in denen alles zusammenfällt – Zeit, Erinnerung, Gegenwart – wird uns bewusst: Unser Leben ist im ständigen Wandel.
Leben in Phasen – und dazwischen: das echte Leben
Das Leben ist kein Zustand, es ist Bewegung. Veränderung. Übergang. Diese Veränderung haben Kirstin und ich gerade hautnah durch unseren Umzug in die Schweiz erlebt. Neben äußeren Veränderungen durchziehen auch innere Übergänge und verschiedene Phasen unser Leben. Früh in unserer Ehe haben wir das Buch von Giordano Guardini gelesen, in dem er acht Lebensalter beschreibt. Sein Blick auf die verschiedenen Lebensphasen war ein Augenöffner für uns: Kindheit. Jugend. Erwachsensein. Reifung. Altwerden. Jede Phase bringt eigene Geschenke und eigene Herausforderungen.
Wir haben es erlebt, wie es ist, wenn sich Phasen und Rollen verschieben: Vom ziellosen Umherirren in der Jugend hin zu einem Weg, der – nicht immer gradlinig, doch – Richtung hat. Von der rastlosen, oft verzweifelten Suche nach Identität und Sinn – zum Staunen darüber, von Ihm gefunden worden zu sein. Von erhoffter Klarheit – hin zum Vertrauen, den nächsten Schritt auf sein Wort hin zu gehen. Vom Kind zur Jugend zum Elternteil zum Großelternpaar.
Die Phasen mit ihren Übergangszeiten (Altersangaben ungefähr)
1. Mutterleib Krise: Geburt
2. Kindheit (0 – 12) Krise: Pubertät
3. Junger Mensch (15 – 28) Krise: Ideal – Real / Erfahrung der Wirklichkeit
4. Mündiger Mensch (31 – 45) Krise: Midlife / Innewerden der Grenzen
5. Reifer Mensch (50 – 63) Krise: Loslösung / Erfahrung des Endens
6. Weiser Mensch (67 – 80) Krise: Weniger werden
7. Alter Mensch (80 +) Krise: Sterben
8. Ewiger Mensch
Übergänge – nicht bequem, aber bedeutungsvoll
Was wir dabei gelernt haben: Der Mensch gleitet nicht einfach aus dem einen in das andere Lebensalter hinüber. Das Leben springt nicht von einer Phase in die nächste. Wir steigen nicht einfach an einem „Bahnhof Kindheit“ aus und setzen uns in den Zug „Jugend“. Stattdessen erleben wir Übergänge, die zeitintensiv und herausfordernd sind. An jedem Übergang ergibt sich automatisch ein Umbruch, ein innerer Prozess. Wir müssen Altes und uns Bekanntes unwiederbringlich hinter uns lassen und uns auf Neues und Unbekanntes einlassen. Das kann eine heftige Krise auslösen. Eine solche Übergangszeit ist z.B. die Pubertät, dieser Klassiker unter den Übergängen – vom Kind zum jungen Menschen. An diese Zeit kann ich mich gut erinnern. Sie ging für mich einher mit Unsicherheit und Selbstzweifeln, verbunden mit der Suche nach Identität und Wert: „Wer bin ich, was kann ich (oder auch nicht), was macht mich aus?“ Ich erlebte in dieser Zeit beides: Rebellion und Resignation.
Drei Möglichkeiten, mit Veränderung umzugehen
Wenn wir mit Veränderung konfrontiert sind, stehen uns drei Wege offen:
1. Rebellion – Freiheit ohne Verantwortung: Widerstand, Ungehorsam, Aggression. Der „Täter“
2. Resignation – Unfreiheit ohne Verantwortung: Passivität, Schuldzuweisung, Selbstmitleid. Das „Opfer“
3. Mündigkeit – Freiheit und Verantwortung: Eigenverantwortung, Gestaltungswille, versöhntes Annehmen. Der „Gestalter“
Verantwortung beginnt dort, wo Ausreden enden
Ich habe gelernt, dass Umbruchphasen – wie das gesamte Leben – nicht nur erlebt, sondern bewusst gestaltet werden können, denn nur ein gestaltetes Leben ist ein gelingendes Leben. Wir wünschen uns, das zu tun, was gut ist, für uns selbst, für andere, für unsere Arbeit. Doch gelingt das nicht immer. Was hilft, sind gute Gewohnheiten und eine innere Haltung, die uns erinnert, wer wir sind und wofür wir leben und für das, was wirklich zählt.
Es lohnt sich, gute Gewohnheiten schon vor den Zeiten des Umbruchs zu stärken, damit sie uns in schwierigen Zeiten Stabilität und Orientierung geben. Ich habe mir vor einigen Jahren einen gemütlichen Sessel gekauft, in welchem ich meine Zeit mit Gott inspirierend verbringen kann. Mir persönlich hilft es, diesen festen Ort in unserem Zuhause zu haben. Ein weiterer fester Rhythmus ist der (fast) tägliche Spaziergang mit meiner Frau, auch wenn er manchmal nur 10 Minuten dauert. Gerade solche Routinen geben Halt in Zeiten des Umbruchs. Und: In den Übergängen sind wir nicht allein. Jesus geht verlässlich mit uns – Er allein bleibt unveränderlich.

Gott führt – doch du gehst
Wenn wir unsere Kinder sehen, wie sie durch ihre Lebensphasen gehen, dann tauchen in uns leise Erinnerungen auf – an eine Zeit, in der wir selbst an diesen Punkten standen. Denn in ihren Wegen erkennen wir so vieles wieder: unsere eigenen Fragen, unsere Aufbrüche, unsere Hoffnungen. Auch nach vielen Jahren erinnere ich mich noch gut an die „Phase der großen Kraft“ – die Zeit als junger Mensch Anfang 20. Eine Zeit, in der du glaubst, alles sei möglich. Damals sind wir zu Jugend mit einer Mission nach Biel gegangen. Wir spürten, dass Jesus uns führte und er uns Mut und Vertrauen schenkte. Ebenso erinnere ich die Krise im Übergang zum „reifen Menschen“, die mit dem Wahrnehmen der Grenzen einherging und einer Unsicherheit gegenüber dem Älter werden. Dabei wurde mir bewusst, wie kostbar, aber auch wie endlich das Leben ist.
Zurzeit befinden Kirstin und ich uns in diesem Lebensabschnitt, den Guardini als das „Lebensalter des reifen Menschen“ beschreibt. Ja, wir spüren die Grenzen unserer Kraft. Gleichzeitig haben wir immer noch genug Energie, um das Leben bewusst zu gestalten und zu genießen. Dieser Abschnitt hat sein eigenes Tempo und seinen ganz besonderen Reichtum. Es bleibt ein dankbares Staunen: über die Wege, die wir gegangen sind, über die Entscheidungen, die wir getroffen haben, über die Treue Gottes, der uns durch jede Phase getragen und geführt hat. Über das, was geblieben ist und über das, was sich verändert hat. Durch alles hindurch ist die Beziehung zu unserem himmlischen Vater das, was uns trägt, uns inspiriert und uns hoffnungsvoll nach vorn schauen lässt.
5 Fragen für dich:
1. In welchem Lebensabschnitt stehst du gerade?
2. Wo leistest du, bewusst oder unbewusst, Widerstand gegen Veränderung?
3. Was versuchst du, festzuhalten, obwohl du innerlich spürst, dass es Zeit ist, loszulassen?
4. Was wäre anders, wenn du heute Verantwortung übernimmst und gestaltest?
5. Wie könntest du in deinem Übergang Gott neu begegnen – nicht erst danach, sondern mittendrin?
Ich freue mich, dir auf einem der kommenden Männertage oder Segeltörns zu begegnen.
Herzliche Grüße
Dirk